Durchhaltevermögen und Demut

Die zweifache Weltrekordhalterin Nathalie Pohl gehört zu den besten Freiwasserschwimmerinnen der Welt. Ihr Traum: die Ocean’s Seven als erste Deutsche zu durchschwimmen. Jetzt steht sie kurz davor, diese Herausforderung zu meistern. Ihre beeindruckende Geschichte erzählt die 29-jährige Marburgerin nun in ihrem Buch „Im Meer bin ich zu Hause“.

 

Du stehst kurz vor der Durchquerung des Nordkanals zwischen Irland und Schottland. Welche Besonderheiten weist diese Strecke für Dich auf? Warum kommt sie zum Schluss?

Jede Strecke hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. Auf Hawaii bin ich über 12 Stunden im Dunkeln geschwommen. Im Nordkanal herrschen Kälte und raues Wetter. Es ist dort nicht nur kalt, sondern es ist wirklich sehr kalt (lacht). Selbst im Sommer hat das Wasser nie mehr als 14 Grad. Schwimmen ist hier für Ungeübte lebensgefährlich. Auch Extremschwimmerinnen und Extremschwimmer müssen ihren Körper darauf gezielt vorbereiten, ansonsten hätte auch ich keine Chance. Und selbst wenn die Vorbereitung und
das Mindset stimmen: Um überhaupt schwimmen zu können, müssen auch die Strömung und die Gezeiten zusammenpassen. Denn sie können für extremen Wind und hohe Wellen sorgen. Nicht zuletzt gibt es hier auch Quallen, und zwar sehr viele. Die Stiche von Feuerquallen sind extrem schmerzhaft. Alles in allem also kein Ort, den man sich für ein Schwimmen auf den ersten Blick aussuchen würde. Gerade deshalb erfordert der Nordkanal eine besondere Vorbereitung, die sehr zeitintensiv ist und sich von anderen Querungen unterscheidet.

Was war Dein bisher schönstes Erlebnis beim Freiwasserschwimmen?

Etwa zwei Stunden vor dem Ziel haben mich in der Cookstraße Delfine nicht nur kurz besucht, sondern länger begleitet. Sie haben sogar während meiner Trinkpause auf mich gewartet. Auch der Sonnenuntergang in Hawaii war sehr besonders. Mir war bewusst, dass ich etwas für mich völlig Neues erleben werde: elf Stunden lang in absoluter Dunkelheit durch den Pazifik zu schwimmen. Während der ersten Trinkpause schaute ich hoch und sah den beeindruckendsten Sternenhimmel, den man sich vorstellen kann.

Wie fühlt es sich an, so lange nachts – in der Dunkelheit – auf offenem Meer zu schwimmen?

Ich schwimme nachts, weil das Meer dann viel ruhiger ist. Meistens weht nachts weniger Wind und auch die Lebewesen im Meer sind weniger aktiv. Ich trage ein Licht an der Badekappe, damit mich meine Crew sehen kann. Ansonsten wäre das Schwimmen nachts lebensgefährlich. Es ist unglaublich still im Meer und faszinierend, gerade wenn man den Sternenhimmel sieht. Aber es ist auch einsam, ich bin immer froh, wenn ich am Horizont die Sonne aufgehen sehe, weil ich weiß, dass schon ein ganzes Stück hinter mir liegt.


Wie bereitest Du Dich auf die letzte Etappe im September vor?

Kalt duschen tue ich sowieso schon ausschließlich (lacht), Eisbäder helfen auch. Aber am besten ist natürlich das Training unter so realen Umständen wie möglich. Dafür war ich im Frühjahr viel auf Mallorca, da hatte das Wasser eine Temperatur von etwa 13 Grad – so wird es im September im Nordkanal auch sein. Ich bin so viel wie möglich in kalten Gewässern unterwegs, um meinem Körper gar keine Chance zu geben, sich wieder an wärmeres Wasser zu gewöhnen. Auch wenn ich das eigentlich gar nicht mag, aber da muss ich jetzt durch. Außerdem ist es auch wichtig, ausreichend zu essen. Einerseits um dem Körper die nötige Energie zu geben, aber auch um eine gewisse Schutzschicht aufzubauen.

Wer wird Dich begleiten?

Mich begleiten Leute, denen ich absolut vertraue und die mich extrem gut kennen. Sie sind am Ende diejenigen, die die Entscheidung treffen müssen, ob es weitergeht oder nicht. Ich kann mittlerweile so gut an meine Grenzen gehen, dass ich manchmal auch zu weit gehe. Ich selbst kann die Lage dann nicht mehr einschätzen.


Wie schaffst Du es, Dich während einer Strecke zu motivieren?

Anfangs dominiert noch das Adrenalin. Ab Stunde drei bin ich im Rhythmus, und ich beginne, viel über das Schwimmen selbst nachzudenken: Wie viel Strecke habe ich schon geschafft? Wie weit muss ich noch? Ich frage mein Team aber nie danach, denn das hilft mir nicht. Ich muss eh so lange schwimmen, bis ich ankomme. Meistens hangele ich mich von einer Essenspause zur nächsten. Das sind kleine Freudenmomente. Alle halbe Stunde reicht mir mein Team einen kleinen Snack ins Wasser. Das kann Tee oder Wasser sein, Toast oder auch mal ein Muffin. Diese speziellen Powergels verträgt mein Magen nicht. Und dennoch: Ich liebe die Zeit allein mit mir. Ich liebe es, stundenlang mit meinen Gedanken allein zu sein, meine Armzüge zu zählen und sonst an nicht viel zu denken. Ich höre den Wellen zu und versuche, vollkommen im Moment zu bleiben.

Was war Deine bisher größte Herausforderung?

Das war definitiv Neuseeland – ich habe drei Versuche gebraucht, bis ich es im vergangenen Jahr endlich geschafft habe und mir diesen großen Traum erfüllen konnte. Wenn man dreimal antritt, jedes Mal wieder am Morgen an dem Felsen in Neuseeland steht,
dann sind das Momente, die man einfach nie mehr vergessen wird. Und es macht ja auch etwas mit Dir, das baut schon einen großen Druck auf. Aber ich weiß mittlerweile – auch durch den Sport –, dass ich Dinge so annehmen muss, wie sie kommen.

Wie sieht es konkret aus, wenn Du eine Strecke abbrechen musst?

Während des Schwimmens bin ich im Tunnel, kriege oft nicht mit, was um mich herum passiert. Umso wichtiger ist da meine Crew. Mein Vater und mein Trainer kennen mich sehr gut und wissen genau, wann nichts mehr geht oder ein Abbruch, wie zum Beispiel, als ich in Neuseeland wegen der zu starken Strömung rückwärts geschwommen bin, notwendig ist. Wenn sie es so entscheiden, dann habe ich volles Vertrauen in ihre Worte und dann war es das. Bei meinem ersten Versuch im Ärmelkanal wäre ich fast ertrunken, weil meine Lungen voll Wasser gelaufen sind. Da hat mich mein Vater rausgeholt.

Was würdest Du sagen, haben das Freiwasserschwimmen und im Speziellen die Ocean’s-Seven-Strecken mit Dir gemacht? Wie sehr haben Dich diese Extremerfahrungen
geprägt?

Ich habe mich sehr verändert! Zum einen haben mich meine Erfahrungen demütig gemacht. Ich habe verstanden, dass wir Menschen nur Gäste auf der Erde sind. Gerade wenn man zwischen Plastikmüll und Europaletten herumschwimmt, dann wird einem bewusst, wie fahrlässig wir mit der Natur umgehen. Zum anderen habe ich gelernt, dass man viele Dinge im Leben nicht planen kann und sie so nehmen muss, wie sie kommen. Das ist nicht immer so leicht, wie es klingt. Denn wenn man so lange auf den einen Moment hintrainiert hat, und dass etwas auf den ersten Blick so Banales wie das Wetter scheitern lässt, dann ist das nicht leicht zu akzeptieren. Denn man hat nur diese eine Chance. Ist der Slot nicht möglich, muss man meist ein Jahr auf die nächste Chance warten. Das ist bitter, lässt sich aber nicht ändern. Man muss alles so nehmen, wie es kommt und dann nicht aufgeben und das Beste daraus machen.

Du hast schon so viele Herausforderungen gemeistert und Ziele erreicht – wie war es für Dich, ein Buch zu schreiben?

Es war eine ganz besondere Erfahrung. Ich wollte meine Erlebnisse für mich aufschreiben, um mich auch später an alles ganz genau zu erinnern. Während des Schreibens ist mir dann klar geworden, dass ich das Buch auch für andere schreibe. Um sie zu motivieren, immer an sich und ihre Träume zu glauben. Seit der Veröffentlichung habe ich zahlreiche sehr persönliche Nachrichten von Menschen erhalten, die mein Buch berührt hat. Manche haben sogar lange aufgegebene Träume in Angriff genommen. Das gibt mir auch für meine weitere Reise unglaublich viel zurück.

Hast Du eine Lieblingsstelle in Deinem Buch?

Wenn ich mich entscheiden müsste, dann ist es die Stelle über Neuseeland. Einfach, weil es mir am meisten bedeutet. Ich musste die Cookstraße zweimal abbrechen, habe dabei so viel über mich selbst gelernt und auch darüber, wie man mit Rückschlägen umgeht.

Gibt es die Chance, dass wir in Zukunft noch mehr Bücher von Dir lesen können?

Vielleicht: Sag niemals nie. Ich würde sehr gerne eine Doku über mein Leben als Extremschwimmerin machen und bin gespannt, was die Zukunft für mich bereithält.

Hast Du neben dem Nordkanal momentan Dinge, die Dich besonders beschäftigen?

Schwimmen ist mein Leben! Und daher steht aktuell an erster Stelle tatsächlich der Nordkanal. Ich bin dafür täglich mehrere Stunden im Wasser, war oft im Ausland unterwegs. Für etwas anderes ist gerade nicht wirklich Platz, aber das ist eben vor einer geplanten Querung so. Und das kennen auch meine Freunde und meine Familie.

Was kommt nach den Ocean’s Seven?

Defi nitiv werde ich weiter schwimmen, auch wenn ich mir meinen größten sportlichen Traum dann erfüllt habe. Aber es gibt noch eine konkrete Strecke, die ich gern schaffen möchte. Sie bleibt aber noch geheim.

Vielen Dank für diese persönlichen Einblicke, Nathalie. Wir drücken im September fest die Daumen.

Fotos: Daniel Toni Jais, Marc Le Cornu, privat

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