Ich will aber!

Wie gehen wir mit kleinen Wutzwergen um? Und wie können wir ihnen helfen?

Manchmal würde ich meinem Kollegen auch gerne eine Sandschippe auf den Kopf hauen, wenn er nicht das macht, was ich möchte. Aber ich bin 40 Jahre alt und habe gelernt, wie ich auf andere Art und Weise mit Wut und Frustration umgehen kann. Kinder haben diesen Weg noch vor sich. Wie wir sie dabei unterstützen können, weiß Heike Saalmann, Diplom-Motologin und Leiterin der Beratungsstelle „NULL bis SECHS“.

Durch die Glocke

Banal aber essentiell: Wenn wir mit Kindern kommunizieren, müssen wir das so tun, dass sie es verstehen können: „Wenn Kinder in etwas vertieft sind, stecken sie wie in einer Glocke. Sie können ganz wunderbar ausblenden, was um sie herum passiert – vor allem die Dinge, die ihnen in diesem Moment nicht wichtig sind“, weiß Saalmann. Um durch diese Glocke dringen zu können, müssen wir also wirklich präsent sein, zu dem Kind gehen, es vielleicht berühren und auf Augenhöhe sprechen. Und dann sollten wir möglichst klar formulieren, was wir sagen möchten: „Wenn ich mein Kind um etwas bitte, dann muss ich auch damit rechnen, dass mein Kind diese Bitte ablehnt.“ Es ist nicht unhöfl ich, zu sagen: „Wir ziehen uns jetzt an und gehen los“, sondern eindeutig.

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Ankündigen

Wenn Kinder wissen, was auf sie zukommt, können sie besser mit der Situation umgehen – eigentlich ist das bei uns Erwachsenen genauso. Steht also der Aufbruch in die Kita bevor, das Kind ist aber in sein Spiel vertieft, dann ist der Stress oft vorprogrammiert. „Es hilft enorm, im Vorfeld anzukündigen, was passieren wird. Oder vorher zu besprechen, was ich erwarte.“ Also zum Beispiel zu sagen: „Du kannst noch spielen, bis der Wecker klingelt, dann ziehen wir uns an und brechen auf.“ Ausdrücke wie „kurz“, „fünf Minuten“ oder „gleich“ sind für kleine Kinder sehr schwer zu fassen, ein Wecker, eine Sanduhr oder etwas Ähnliches macht es konkreter.

Wut macht blind

Und wenn die Wut da ist? „Am besten verlässt man zunächst die Situation mit dem Kind. Also wenn möglich, den Ort gemeinsam wechseln und warten, bis es sich beruhigt hat. Denn erst dann erreiche ich es überhaupt. Während eines Wutanfalls zu erklären, zu diskutieren oder irgendwelche Konsequenzen anzudrohen, bringt schlichtweg nichts, weil es meist gar nicht bis zum Kind vordringt.“ Ich begleite mein Kind also in seinem Gefühlsausbruch und rede etwas abseits vom Geschehen mit ihm. Frage nach, zeige Verständnis für seine Gefühle und erkläre, was falsch gelaufen ist. Vielleicht weiß es das Kind auch selbst. „Ganz wichtig ist es dann, dem Kind überhaupt die Chance zu geben, zurück in die Situation zu gehen – und es besser zu machen.“

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Die Möglichkeit, zu lernen

Konkreter: Es gibt Streit um ein Spielzeug. Mein Kind schreit, schlägt. Ich gehe hin, nehme es zur Seite, bis das rote Köpfchen wieder normale Farbe annimmt, und rede mit ihm. Lasse es erklären, warum es so wütend geworden ist. Vielleicht wurde das Spielzeug weggenommen, vielleicht hat mein Kind etwas weggenommen, vielleicht hat mein Kind brav geteilt, die anderen haben den Bagger aber nicht zurückgegeben. Dann besprechen wir, wie man sich besser verhalten kann. Mein Kind darf wieder in den Sandkasten. Und kann versuchen, mit den anderen weiterzuspielen – ohne Schreien und Hauen. „Auch wer kritische Situationen vermeiden möchte, also etwa immer schon eingreift, bevor es Streit gibt, der nimmt seinem Kind die Möglichkeit, etwas zu lernen. Nur so kann ein Mensch sich nach und nach Strategien aneignen, mit der eigenen Wut, mit Auseinandersetzungen umzugehen“, weiß die Expertin.

Ich sehe Dich

Kinder brauchen Aufmerksamkeit und das Gefühl, gesehen und verstanden zu werden. Und das nicht nur in den Momenten, in denen etwas schief läuft, sondern vor allem auch, wenn es gut läuft. „Positive Bestärkung gibt Orientierung. Bekomme ich viel Aufmerksamkeit wenn ich mich falsch verhalte, aber kaum Rückmeldung zu tollen Situationen, dann kann das unter Umständen sogar bewirken, dass ich Quatsch mache, um gesehen zu werden“, erklärt Heike Saalmann. „Als Faustregel könnte man sagen: ,Auf einmal Schimpfen sollte fünfmal Lob folgen’, dieses Verhältnis müssen wir uns verdeutlichen.“ Denn oft kommt das im Alltag zu kurz, Kinder hören viele Verbote und Einschränkungen. Wenn sie sich ganz prima verhalten, dann wird das als selbstverständlich hingenommen. Dabei hilft es, die Perspektive der Kleinen einzunehmen.

 

Wutzwerge

Vorbild sein

Wie in vielen Bereichen des Lebens lernen Kinder auch durch bloßes Nachahmen. Was Mama und Papa in kritischen Situationen machen, spielt also eine große Rolle. „Wir sind die Erwachsenen, wir sollten uns dementsprechend verhalten.“ Dass das nicht immer leicht ist, weiß auch die Expertin: „Wenn in Stresssituationen mit den Kindern die eigene Frustration kommt, brauchen auch wir Strategien, um ruhig zu bleiben. Der eine muss tief durchatmen, der andere in einen anderen Raum gehen und sich sammeln. Wer nicht allein ist, kann auch das andere Elternteil oder jemand Vertrauten einschalten und sagen: „Übernimm Du bitte kurz, ich kann gerade nicht mehr“.

Die Beratung NULL bis SECHS ist ein präventives Angebot des Kinderzentrums Weißer Stein und eine offene Anlaufstelle zur Unterstützung von Eltern und pädagogischen Fachkräften aus allen Gemeinden des Landkreises. Kommen darf jeder, der Fragen hat zur Entwicklung und Erziehung von Kindern im Babyalter bis zum Schuleintritt. Es gibt Beratungsstellen in Cölbe, Lohra, Kirchhain, Gladenbach und Dautphetal und einen türkisch sprechenden Mitarbeiter, der türkisch sprechende Familien betreuen kann. www.kize-weisser-stein.de

Von Katharina Stenner, Fotos: Adobe Stock © lunamarina, © Viacheslav Yakobchuk, © mbt_studio, © Anterovium, © yurchello108

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